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Fischmarkt Hamburg-Altona

„Ich bin so etwas wie ein Fisch-Broker“

Der Fischmarkt Hamburg-Altona versorgt Hamburgs Einzelhandel und Gastronomie mit frischem Fisch, überwiegend aus der Nordsee. Mitten in der Nacht wird hier geliefert, gehandelt und geschuftet. Oliver Schulz, Verantwortlicher für den Ein- und Verkauf bei der Fischmarkt Hamburg-Altona GmbH (FMH), gibt Einblicke in die eigene kleine Welt direkt an der Elbe

20. April 2023

Im Morgengrauen fliegen die Möwen am Fischmarkt umher / ©Johanna Zobel
Im Morgengrauen fliegen die Möwen am Fischmarkt umher / ©Johanna Zobel

Zwanzig, dreißig, vielleicht sogar vierzig Möwen kreisen im Morgengrauen an der Großen Elbstraße umher. Sie sind nicht zu übersehen – und auch nicht zu überhören. Vom Dach des Fischmarkt Hamburg-Altona heben sie ab und fliegen zu den gegenüberliegenden Straßenlaternen – immer mit der Hoffnung, etwas aus den Kisten der Fischhändler zu ergattern. Die Möwen sind wie ein Kompass: Wo sie sind, gibt es guten Fisch. Am Fischmarkt dreht sich auf 65.000 Quadratmetern Gewerbe- und Bürofläche alles rund um die frische Ware aus dem Meer. In dem Gebäude mit der Hausnummer 137 befindet sich das Büro von Oliver Schulz, Verantwortlicher für den Ein- und Verkauf der FMH. Mit bester Sicht auf die Elbe und das Dockland kümmert er sich hier seit knapp 20 Jahren um die Bestellungen von Fisch. Die bestellte Ware verkauft er an die Großhändler auf dem Fischmarkt, die ihren Fisch später an den Einzelhandel und die Gastronomie weiterverkaufen.

Oliver Schulz sorgt dafür, dass der Fischmarkt mit Fisch versorgt wird / ©Johanna Zobel
Oliver Schulz sorgt dafür, dass der Fischmarkt mit Fisch versorgt wird / ©Johanna Zobel

Schulz’ Tag startet um halb sieben mit einem Gang durch die Fischmarkthalle. In einer dunkelblauen gefütterten Jacke mit aufgesticktem Namensschild in gelber Schrift, mit rutschfesten Arbeitsschuhen und mit Stift und Notizblock gewappnet, geht es ins Erdgeschoss – dem Herzstück des Fischmarkts. Grelles Licht scheint seitlich aus Leuchtstoffröhren und schwarzen Punktstrahlern auf die gefliesten weiß-blauen Wände und den dunkelgrauen Steinboden des langen Flurs. Oberhalb der Eingänge hängen Firmenschilder der ansässigen Großhändler, die meist mit Fischmotiven im Logo versehen sind. Die weißen Wände sind von kleinen, blauen Mosaiken in Fischform geschmückt, über denen drei Warn- und Verbotsschilder kleben: „Nicht Rauchen“, „Keine Hunde“ und „Achtung Gabelstapler“. Hubwagen, bunte Plastikcontainer, Holzpaletten und weiße Styroporkisten türmen sich an den Wänden. Darin: Fisch und jede Menge Eis. „Zwischen zwei und fünf Uhr nachts ist hier die Hölle los“, sagt Schulz. „Da kommen die Lkw, alles wird abgeladen und dann hier im Areal verteilt.“ Jährlich werden auf dem Fischmarkt rund 36.000 Tonnen Fisch umgeschlagen. „Wir verkaufen Zuchtlachs, Rotbarsch, Seelachs, Kabeljau und Schellfisch. Also im Grunde alles, was aus der Nordsee kommt“, sagt Schulz. Als Verkäufer kümmert er sich darum, dass alle Händler mit frischer Ware versorgt werden. „Die Schwierigkeit ist, dass ich morgens schon mit den Händlern klären muss, welchen Bedarf sie haben“, sagt er. „Die fangen um Mitternacht an zu arbeiten und sind ab halb neun nicht mehr erreichbar.“

Rote Kiemen und ein intaktes Schuppenkleid: Der Fisch ist frisch! / ©Johanna Zobel
Rote Kiemen und ein intaktes Schuppenkleid: Der Fisch ist frisch! / ©Johanna Zobel

Kein Gesabbel, viel Handel!

Mit flottem Schritt geht Schulz den langen Gang entlang. Freche Sprüche lassen in der von Männern dominierten Branche nicht lange auf sich warten: „Herr Schulz, was machen Sie denn hier, mitten in der Nacht?“, ruft ein Fischmarkt-Arbeiter mit blauer Schürze und lacht laut. Schulz nickt, grinst und biegt links ab, hinein in die Räumlichkeiten der Firma „Lucia Schumann“. Hier grüßt Inhaber Achim Hütköper – freundlich-verschmitztes Grinsen, rote Mütze, weißer Kittel und blaue Gummischürze, die vor Wasser und Fischextremitäten schützt. In einem rund 30 Quadratmeter großen, weiß gekachelten Raum wird hier Fisch filetiert, sortiert und verkauft. Wenn Oliver Schulz kommt, weiß Achim Hütköper, geht es ums Geld. „Achim, gute und schlechte Nachrichten“, sagt Schulz. Hütköper entgegnet: „Die Schlechte weiß ich schon, die hat sich schon rumgesprochen.“ Schulz fährt fort: „Fangen wir mit den Guten an: Skrei hab ich für Donnerstag, 6,70 die Zwei-Vierer und sieben Euro die Vier-Sechser.“ Hütköper: „Dann würde ich gerne zwanzig Kisten Vier-Sechser nehmen.“ Schulz zückt Notizblock und Stift, notiert sich die Bestellung und fährt fort: „Und dann haben wir Preise vom Lachs-Anbieter gekriegt. Die drehen richtig durch! Also, die Fünf-Sechser 14,05 Euro.“ Hütköper: „Na ja, äh, dann machste zwei Paletten Fünf-Sechser … Joa, so machen wir das.“ Fertig ist die Bestellung. Hier wird nicht groß gesabbelt, hier wird groß gehandelt. Im Augenblick sei es wie überall, die Preise steigen. Der Fischmarkt kaufe zum größten Teil Angelware von kleinen Booten. „Die schmeißen ihre Schnüre ins Wasser, die teilweise kilometerlang sind“, so Schulz. Dadurch sähen die Fische „blank“ aus – also unversehrt und nicht zerdrückt. Das sei von den Einzelhändlern auch so gewünscht, da diese den Fisch in ihrer Auslage präsentieren.

Bei Yin Seafood gibt es Exoten aus dem Meer / ©Johanna Zobel
Bei Yin Seafood gibt es Exoten aus dem Meer / ©Johanna Zobel

Schulz setzt seinen Rundgang fort und bleibt an einem Turm mit Styroporkisten stehen. Er schiebt den weißen Deckel zur Seite und greift einen in Eis gebetteten Rotbarsch heraus. Er packt den Fisch am Kopf und spaltet mit Daumen und Zeigefinger die Kiemen. Rote Kiemen, klare Augen und ein intaktes Schuppenkleid mit natürlichen Schleimfilm seien untrügliche Zeichen für frischen Fisch. Alle Kisten sind zudem mit Datum versehen. Daran erkennt Schulz, wann der Fisch gefangen und verpackt wurde. Er habe seine Lieferanten danach ausgewählt, dass sie die Ware nicht lange stehen lassen, sondern zügig abholen. Das Gute bei Fisch sei, dass man sofort rieche und sehe, ob er noch gut ist. Direkt nach dem Abladen, werde der Fisch kontrolliert – sowohl vom Team als auch von den Kunden. Besteht ein Problem, wird er kontaktiert. Schulz legt den Fisch wieder in das Eis-Bett und verschließt die Kiste. Damit der Fisch kalt und frisch bleibt, hat jeder Händler eine eigene Eismaschine, aus der Nacht für Nacht tonnenweise Gefrorenes rauspurzelt – ähnlich wie beim Eisbrunnen in der Sauna. Um zu vermeiden, dass der Fisch in Wasser steht, haben die Kisten Löcher an den Bodenkanten. „Der Fisch darf nicht den ganzen Tag in so einer ‚Soße‘ liegen, sonst hätte man eine richtige Wasserleiche“, sagt Schulz. Die Styroporkisten werden nach einmaliger Benutzung geschreddert und weiterverarbeitet. Es sei nicht das nachhaltigste System. Man müsse aber abwägen: Es sei hygienisch und der Fisch bleibe stets gekühlt. Einzige Alternative sei ein Mehrweg-Transport-System (MTP) in Form von zusammenklappbaren Plastikkisten. Auch hier seien das Spülen und der Transport jedoch nicht sonderlich nachhaltig.

Nachhaltigkeit sei auf dem Fischmarkt dennoch ein wichtiges Thema. „Wir wollen ja auch noch in zehn bis 15 Jahren hier sein“, sagt Schulz. „Dadurch, dass wir Angelware holen und nicht Ware von den großen Schiffen, die die Meere leer fegen, können wir Überfischung vermeiden.“ Schulz hat sechs Lieferanten in Norwegen, vier in Dänemark, drei in den Niederlanden, vier in Island und zwei von den Färöer-Inseln. Neben Bremerhaven und Frankfurt (Main) sei der Fischmarkt in Hamburg eines der wichtigsten Umschlagzentren für Frischfisch. Der Frankfurter Fischmarkt sei mittlerweile sogar größer als der Hamburger: „Dort wird alles eingeflogen, da kommen die ganzen Thunfische an.“ In Hamburg wird die Ware dagegen per Lkw geliefert. „Früher, bis etwa 1986, sind vorne an der Hafenkante die Schiffe angekommen“, sagt Schulz, „da war direkt neben der Straße am Fischmarkt die Elbe. Heute steht da ein Kreuzfahrtterminal.“ Zuvor wurde der Fisch von dort direkt in die Halle gebracht und verauktioniert.

Schulz’ direkter Vorgänger war noch Auktionator auf dem Fischmarkt. „Die Kunden mussten um fünf Uhr hier sein, da ging die Auktion los. Mit einem bestimmten Betrag startete sie – meistens einer Mark. Der Preis ging dann immer höher … 1,10 DM, 1,20 DM, … So lange die Kunden noch Zeichen gaben, wollten sie die Ware kaufen. Man musste sehr aufmerksam sein, manche Kunden hielten dabei einen Stift in der Hand. So lange sie ihn hochhielten, haben sie mitgeboten, wenn er sank, nicht mehr“, erzählt Schulz. „Ich habe ganz am Anfang, 2003, für einen schleswig-holsteinischen Fischer auch noch Auktionen hier gemacht – mit etwa 30 Kisten. Aber das ist kein richtig gutes Geschäft. Heute bekommst du die Infos, was gefangen wurde, schon während die Fischer noch auf See sind. Du machst vorher Preise aus: Schickst Faxe raus, schreibst per WhatsApp – das ist ein viel schnelleres Geschäft.“

Eine gute Nachbarschaft

Den Kontakt zu seinen Kunden pflegt Schulz trotzdem gerne persönlich. Er biegt in den Raum der einzigen Händlerin auf dem Fischmarkt ab – zum Unternehmen „Heidi Fisk“. Hier wird auch um kurz vor sieben Uhr noch fleißig Fisch filetiert. Einer der vier Mitarbeiter am großen Metalltisch ist Ali – ein großer, schlanker Mann, dem trotz Müdigkeit ein Grinsen abzulesen ist. Er arbeitet seit 48 Jahren auf dem Fischmarkt. Sein Arbeitstag – beziehungsweise seine Arbeitsnacht – beginnt um 22 Uhr und endet um neun Uhr. Mit einem langen, scharfen Messer fährt Ali rasant und routiniert über den Fisch und entfernt die Schuppen. Auch seine Kollegen im Team sind schon Jahrzehnte dabei. Der Fischmarkt sei wie eine große Familie, ein eigenes kleines Dorf, findet auch Martin Bartosz Cien von Yin Seafood, dessen Räumlichkeiten nur wenige Fischflossen entfernt liegen. Er ist seit fast 20 Jahren dabei, betreut hauptsächlich die Gastronomie, doch den Kontakt zu alteingesessenen Fischmarkthändlern in der Früh will er sich nicht entgehen lassen: „Es ist wie in einer guten Nachbarschaft. Man ergänzt sich, arbeitet zusammen und hilft einander“, sagt er. „Wir von Yin Seafood sind Ansprechpartner für Thunfisch und Exoten. Wenn ich doch mal Seefisch brauche, dann gehe ich zu Heidi oder Walter“, so Bartosz, der auf dem Fischmarkt nur mit seinem zweiten Vornamen angesprochen wird. „Verpackte Thunfisch-Filets sehen auf den ersten Blick nicht gerade spektakulär aus, das ist unser ‚Hauptprodukt‘. Die anderen sind optisch interessanter“, erklärt er und zeigt auf einen Metalltisch vor dem Eingang, im langen Flur des Fischmarkts. Darauf liegen bunte Exoten wie Papageifisch, Snapper und alle möglichen Barsche, die im Indischen Ozean oder in Afrika gefangen wurden.

Hier wird fleißig Fisch filetiert / ©Johanna Zobel
Hier wird fleißig Fisch filetiert / ©Johanna Zobel

„Wenn man hier nachts herkommt, ist die Halle voll“, sagt Schulz, „dann präsentieren die Händler den Kunden ihre Ware.“ Neben Fisch können Kunden auch Krustentiere erwerben, etwa beim Anbieter „Atlantik Fisch“. Dort stehen zahlreiche Wasseranlagen mit Hummern in verschiedenen Größen. Die Scheren der Tiere sind mit einem Gummiband fixiert, damit sie sich nicht verletzen. Bei einer Wassertemperatur von drei Grad seien sie aber ohnehin sehr ruhig, erklärt einer der Mitarbeiter. Schulz schaut sich die Krustentiere sowie Jakobsmuscheln an und zieht weiter.

„Der Fischmarkt ist vor über 80 Jahren hierhin gezogen“, erzählt er. Damals wären der Fischmarkt Altona und der Fischmarkt Hamburg Konkurrenten gewesen. Erst später wurden diese zusammengelegt. Auch heute noch ist der Fischmarkt Hamburg-Altona ein Aushängeschild der Hansestadt. „Die Stadt steht auf jeden Fall hinter uns. Wir haben das gesamte Areal bei der Stadt gepachtet – über langjährige Verträge. Hamburg hat großes Interesse, dass es so bleibt“, sagt Schulz. Durch die Namensverwandtschaft würden viele den Fischmarkt Hamburg-Altona mit dem sonntäglichen Fischmarkt verwechseln. Der Unterschied ist aber groß: Während der sonntägliche Fischmarkt vornehmlich Touristen und Einheimische anzieht, können auf dem Fischmarkt Hamburg-Altona nur Einzelhändler und Gastronomen einkaufen. Je nach Saison haben die Käufer Vorlieben: „Im Mai wird Scholle nachgefragt, im Juni Matjes. Doraden und Wolfsbarsch sind im Sommer zum Grillen beliebt, während die Nachfrage nach Schellfisch und Kabeljau sinkt, weil das Kochfische sind“, so Schulz. Auch an Feiertagen und in den Ferien sinke die Nachfrage nach frischem Fisch.

Delikatesse aus dem Meer: der Hummer / ©Johanna Zobel
Delikatesse aus dem Meer: der Hummer / ©Johanna Zobel

Es ist kurz nach acht Uhr. Schulz’ Handy klingelt und leuchtet im Minutentakt auf. „Das Geschäft geht jetzt so langsam los. Die Norweger sind ab halb neun zu erreichen“, sagt er, wirft einen Blick auf sein Smartphone und streicht zweimal über den Bildschirm. Über WhatsApp hat er von einem Anbieter eine Auflistung mit allen Fischsorten und den jeweiligen Preisen erhalten. Schulz muss die Preise im Blick behalten und schnell reagieren. „Ich bin so etwas wie ein Fisch-Broker“, sagt er mit verschmitztem Lächeln. Seinen Hang zum Zocken hat er schon in einigen TV-Shows ausgelebt – etwa bei der Quizshow „Wer wird Millionär?“ mit Günther Jauch. Gewonnen hat er 16.000 Euro.

Schulz schaut noch einmal in die Halle. Es wird ruhiger. Die ersten Arbeiter gehen in den wohlverdienten Feierabend – beziehungsweise Feiermorgen. Nur eine Möwe schleicht noch vor der Halle herum. Für Schulz geht es jetzt richtig los. Er wird schreiben, telefonieren, kalkulieren, verhandeln, kaufen, notieren – bis auch er seinen Stift senkt. Die Möwe sitzt auf einem Poller vor der Halle und geht leer aus. Der Fisch für diesen Tag ist schon verkauft und verpackt.

Portrait von Johanna Zobel

Johanna Zobel ist immer für ein ausgiebiges Abendessen mit Freunden in gemütlichen Restaurants zu haben. Ein perfekter Abend endet für sie mit einem Absacker in einer typischen Hamburger Eckkneipe.

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