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Rindchens Weinkunde

Das Vinieren: geschwenkt, nicht gerührt

Den Wein vor dem Trinken im Glas zu schwenken ist absolut sinnvoll und steigert das Geschmackserlebnis. Warum, verrät Weinexperte Gerd Rindchen

Beim Vinieren wird das Glas mit dem Wein benetzt / ©Unsplash/Big Dodzy
Beim Vinieren wird das Glas mit dem Wein benetzt / ©Unsplash/Big Dodzy

Manchmal wundern sich Gäste bei uns oder Mitbürger:innen im Restaurant, dass ich immer vorab ein ziemliches Gehühner mit den Weingläsern veranstalte, indem ich sie „viniere“. Aber während viele Rituale rund um den Wein ziemlich überschätzt werden, macht das „Vinieren“ der Gläser absolut Sinn. Der Grund: Es gibt nichts, was so einfach geht, so wenig Aufwand verursacht und so unmittelbar zur sofortigen Genusssteigerung beiträgt. Und so funktioniert’s: Wenn man einen Wein genießen möchte, nimmt man sich das erste Glas und schenkt einen kleinen Schluck Wein ein. Nun dreht man diesen Schluck Wein so im Glas, dass die gesamte Glaswand einmal vollständig benetzt wird. Das ist wichtig! Anschließend gibt man diesen Schluck Wein ins nächste Glas und wiederholt die ganze Prozedur. So verfährt man Sie mit allen Gläsern am Tisch. Den Schluck Wein gibt man zum Schluss wieder in das Ausgangsglas zurück oder schüttet ihn einfach weg. Dann kann man die Gläser füllen.

Der Weg zum sofortigen, perfekten Weingenuss

WARUM Ist das Vinieren so wichtig? Das kann man ganz einfach selber nachvollziehen: Und zwar, indem man ein und denselben Wein parallel in ein viniertes und ein nicht viniertes Glas einschenkt. In der Regel stellt sich dann heraus, dass der Wein im vinierten Glas viel lebendiger riecht und sich viel offener, zugänglicher und verführerischer präsentiert als der gleiche Wein, der sich im nicht vinierten Nachbarglas befindet. Dieser Effekt ist absolut verblüffend und funktioniert immer wieder. Warum ist das so? Wenn man sich die vermeintlich glatte Glaswand wie eine Haut vorstellen, ist das schon die richtige Spur: Denn auch Glas ist mehr oder minder porös und damit höchst empfänglich für Geruchseinflüsse aus der Umwelt. Der „Klassiker“ ist der Schrankton: Wer seine Gläser in einem Holzschrank aufhebt, wird den strengen Schrankgeruch eins zu eins gespiegelt in seinen Gläsern wiederfinden. Und so riecht dann auch erst mal der Wein, wenn die Gläser nicht viniert sind. Oder: Die Gläser wurden, was an sich völlig in Ordnung ist, im Geschirrspüler gereinigt. Dann sind noch winzige Spülmittelreste im Glas. Die Gläser wurden sorgfältig mit der Hand gespült und poliert? Dann finden sich mit Sicherheit im Glas Spuren der Aromastoffe aus dem Waschmittel, mit dem die Geschirrhandtücher gewaschen wurden. Kurzum: Es ist absolut unmöglich, ein völlig geruchsfreies und neutrales Weinglas bereitzustellen. Aber egal ob Schrank, Geschirrspüler oder Geschirrtuch: Mit dem kurzen „Dreh“ des Vinierens ist man Probleme ganz einfach los und dem Weingenuss steht nichts mehr im Wege!

Worauf basiert der Effekt des Vinieres?

Der überwiegende Teil der Geschmackswahrnehmung, gut 80 Prozent, basiert auf dem Riechen: Man stelle sich vor, jemand ist völlig verschnupft und hat vor sich zwei Teller – einen mit mildem Kartoffelpüree und einem mit sehr intensivem Kartoffel-Knoblauch-Püree. Der- oder diejenige wird beim Probieren erst mal keinen Unterschied wahrnehmen, weil das empfindlichstes Wahrnehmungsorgan, die Nase, blockiert ist. Oder man hält sich einmal die Nase zu, wenn man einen Wein probiert. Da wird man nichts schmecken! Durch das Vinieren ist sichergestellt, dass man schon mit der ersten Geruchswahrnehmung den Wein im Glas so erlebt, wie er ist. Wenn es ein guter Wein ist, wird so das Genusserlebnis unmittelbar gesteigert – und so soll es ja auch sein!

Porträt von Gerd Rindchen

Gerd Rindchen begann sich 1977 mit Wein zu befassen, als er mit seinem VW-Bus „Traugott“ Wein aus der Pfalz nach Bremerhaven schaffte und dort an die Freunde seiner Eltern verkaufte. Nach der Übersiedlung nach Hamburg 1978 entstand daraus das Unternehmen „Rindchen´s Weinkontor“, das 2017 verkauft wurde. Seit 1981 ist Gerd Rindchen publizistisch tätig, überwiegend zu den Themen Kulinarik und Wein. Er veröffentlichte dazu auch einige Bücher, unter anderem „Crashkurs Wein“, „Crashkurs Essen & Wein“ und „Rindchen kocht“.

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