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Bioponik

Essen für die Tonne: Biologisches Vertical Farming

Speisereste wandern in der Hobenköök nicht mehr in den Biomüll, sondern in Fermentationsfässer. So gewinnt das Restaurant biologischen Dünger, mit dem eine neuartige Vertical-Farming-Anlage von simplePlant betrieben wird

19. September 2023

Thomas Sampl (l.) und Ben Etemadieh testen in der Gleishalle eine neuartige Bioponik-Anlage / ©Stephan Wallocha
Thomas Sampl (l.) und Ben Etemadieh testen in der Gleishalle eine neuartige Bioponik-Anlage / ©Stephan Wallocha

Die Gleishalle im Oberhafenquartier ist so etwas wie die soziokulturelle Spielwiese Hamburgs. Auf 2000 Quadratmetern Fläche können sich kreative Menschen austoben, die die Welt verändern wollen. Wer einen ersten Blick hineinwirft, sieht viel Industriecharme, die Projekt-Testfelder fallen erst bei genauerem Hinsehen auf. Im Herzen der Halle steht auch die biologische Vertical-Farming-Anlage von simplePlant: Auf drei Etagen wachsen Kräuter und Gemüse auf wenigen Quadratmetern übereinander, Hunderte mit Ökostrom betriebene LED-Lampen auf jeder Ebene ersetzen das Sonnenlicht. Für die Hobenköök hat das Start-up der drei Gründer Ben Etemadieh, Pablo Antelo Reimers und Felix Witte, das mit smarten Indoor-Gärten bekannt wurde, den Prototyp eines Bioponik-Systems entwickelt. Bedeutet: In herkömmlichen Hydroponik-Anlagen wachsen Pflanzen ganz ohne Erde in mit Nährstoffen angereichertem Wasser auf Basis von Mineraldünger, sie sind also nicht bio. Eine Bioponik-Anlage nutzt biologischen Dünger statt chemischen Dünger. In der Regel ist der Ertrag dabei aber nicht so hoch. Bis jetzt. Die Macher von simplePlant wollen zeigen, dass ihr Bioponik-System ähnlich effizient ist wie andere hydroponische Systeme. 

Like a boss: Das (Ba)Bokashi-Verfahren 

Und hier kommt die Hobenköök als Düngerlieferant ins Spiel. Denn dort werden Essensreste, die im Restaurant anfallen, seit einigen Jahren nicht mehr entsorgt, sondern nach dem Bokashi-Verfahren verwertet. Bioabfälle kommen in Schichten zusammen mit Effektiven Mikroorganismen (EM) in einen luftdichten Behälter. Schon bald setzt eine anaerobe Fermentation ein. Das riecht nicht gut, die Biomasse wird dabei aber in nährstoffreiche Fermente umgewandelt. In anderen Worten: wertvollen Flüssigdünger.

Die großen, blauen Babokashi-Fässer sind ebenfalls in der Gleishalle untergebracht / ©Darja Schneider
Die großen, blauen Babokashi-Fässer sind ebenfalls in der Gleishalle untergebracht / ©Darja Schneider

Der Bokashi-Meister in der Hobenköök ist Küchendirektor Martin Schneider. Seinen Pflanzendünger führt er unter der Marke „Babokashi“, abgewandelt vom Jugendwort „Babo“ für Boss. Warum? „Weil das einfach der Babo-mäßigste Dünger ist“, sagt Schneider. Die Fermentation erfolgt bei der Hobenköök in großen, blauen 120-Liter-Fässern, die nur mit vegetarischen Essensresten befüllt werden. Das Restaurant bekommt eine Tonne in gut zwei Wochen voll. Danach ruht der Inhalt mindestens drei Monate, anschließend wird das flüssige Konzentrat herausgefiltert. 30 bis 40 Liter gewinnt Schneider aus einem Fass – viel zu viel, um allein die kleine Bioponik-Anlage von simplePlant zu speisen. Der Dünger kommt aber auch im Oberhafengarten zum Einsatz, wo in den letzten Monaten neue Hochbeete für einen Mitmach-Garten installiert und bepflanzt wurden. Doch nicht nur das: Übrig gebliebenes fermentiertes organisches Material wird in die Gleisbetten der Gleishalle und in die Hochbeete eingebracht, kompostiert und vererdet. „Dadurch entsteht noch mal extrem fruchtbare Erde“, erklärt Schneider. 

Nährstoffreicher Flüssigdünger kommt nach der Fermentation aus den Fässern / ©Darja Schneider
Nährstoffreicher Flüssigdünger kommt nach der Fermentation aus den Fässern / ©Darja Schneider

Bioponik-System in der Testphase

Der aus den Babokashi-Fässern gewonnene Flüssigdünger eignet sich in seiner Reinform allerdings noch nicht für Hydrokulturen, weil es ihm an Nitrat fehlt. Deshalb hat simplePlant eine spezielle Filteranlage entwickelt, die sich am Boden des Bioponik-Systems befindet. Das Düngerkonzentrat durchläuft dort drei Kammern, die für die mechanische Filterung, die Frischluftanreicherung und die Versorgung mit nitrifizierenden Bakterien zuständig sind. Im Anschluss wird der biologische Dünger in die oberen Etagen gepumpt und den Pflanzen durch Wasser zugeführt. „Das ist ein komplett neuartiger Ansatz“, sagt simplePlant-Mitgründer Ben Etemadieh. Das Unternehmen hatte Hobenköök-Chef Thomas Sampl kontaktiert und angefragt, ob das Restaurant Interesse an einem Testlauf hätte. Die ersten Salate hat die Hobenköök schon geerntet und in der Markthalle verkauft, nun wachsen Petersilie und Basilikum auf den drei Etagen. Zwischen vier und sechs Wochen dauert es im Durchschnitt, bis Kräuter und Gemüse bereit für die Ernte sind. Herkömmliche Vertical-Farming-Systeme verbrauchen bis zu 90 Prozent weniger Wasser und bis zu 90 bis 95 Prozent weniger Dünger als herkömmliche Landwirtschaft. Bei Bioponik sei das laut Etemadieh etwas anders, weil der Dünger weniger effizient sei. Er gehe aber davon aus, dass dabei immer noch 70 Prozent eingespart werden können.

Petersilie und Basilikum wachsen in der Anlage auf drei Etagen / ©Stephan Wallocha
Petersilie und Basilikum wachsen in der Anlage auf drei Etagen / ©Stephan Wallocha

Aktuell wachsen auf einer Ebene hundert Pflanzen. simplePlant ist derzeit dabei, Fördergeldanträge zu stellen, um gemeinsam mit der Hobenköök eine größere Anlage für mehr Output zu entwickeln. „Der Plan ist jetzt erst mal, uns hier zu vergrößern und klar zu zeigen, dass das ein effizientes System ist. Es kann noch so schön und nachhaltig sein – wenn es nicht rentabel ist, dann bringt’s nichts“, so Etemadieh. Ähnlich sieht das Thomas Sampl, der den Testlauf mit den ersten Erträgen abwarten will: „Dann kann man auch mal die ersten Werte gegeneinander halten und darauf reagieren. Strom gegen Output – kriege ich da den Verkaufswert überhaupt raus?“ Doch egal, was die Testphase am Ende ergibt: Von dem Projekt können beide Seiten viel lernen und daran wachsen. 

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Sirany Schümanns persönliche Challenge ist es, sich durch alle Veggie-Restaurants der Stadt zu futtern. Besonders hoch im Kurs: Tacos, Ramen und Thai-Food à la Mama. Guilty pleasure: veganer Süßkram jeglicher Art.

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