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Großmarkt Hamburg: 60 Jahre in Hammerbrook

„Wir bedienen das Fundament unser aller Existenz“

Seit 60 Jahren hat der Großmarkt Hamburg keinen Markttag ausfallen lassen. Und garantiert eine Versorgungssicherheit auch in Krisenzeiten. Wie das möglich ist, erzählt die Geschäftsführerin Eliane Steinmeyer

17. August 2022

Eliane Steinmeyer arbeitet seit 2010 auf dem Großmarkt und führt seit 2015 dessen Geschäfte / ©Torben Röhricht-Fotografie
Eliane Steinmeyer arbeitet seit 2010 auf dem Großmarkt und führt seit 2015 dessen Geschäfte / ©Torben Röhricht-Fotografie

Frau Steinmeyer, wie ist die Stimmung, nachts auf dem Großmarkt, wenn die Stadt noch schläft?

Eliane Steinmeyer: Das ist ja das Schöne für die restliche Stadt, dass wir alles erledigen, wenn die meisten noch schlafen (lacht). Es ist sehr geschäftig bei uns. Es ist trubelig, wuselig, teilweise ein bisschen stressig. Trotz der Geschäftigkeit herrscht eine sehr persönliche Stimmung, da die Händler und Einkäufer sich größtenteils seit Jahren kennen. Der Handel selbst hat viel mit Vertrauen zu tun.

Sind noch viele Familienbetriebe auf dem Großmarkt?

Einige Unternehmen sind schon in der fünften Generation dabei. Viele der heutigen Chefs dieser Familienbetriebe wurden schon als Kinder von ihren Eltern mit auf den Großmarkt genommen. Sie kennen einige ihrer jetzigen Kollegen noch aus der Zeit, in der sie miteinander gespielt haben. Heute sind sie teilweise Konkurrenten, dennoch bestehen persönliche und geschäftliche Beziehungen zwischen ihnen. Sie helfen sich gegenseitig und treiben miteinander Handel.

Wie sieht das aus?

Dass der Handel untereinander eine unserer großen Stärken ist, hat die Corona-Krise deutlich gezeigt. Als die Grenzen plötzlich geschlossen wurden, und ein Lkw, zum Beispiel mit Paprika, für den einen Händler nicht angekommen ist, hat er diese erst einmal von einem anderen bezogen. Nachdem die verspätete Ware eintraf, wurde sie an denjenigen zurück verkauft. Auf diese Weise haben wir sichergestellt, dass trotz der widrigen Umstände immer alles erhältlich war. Das konnten die Supermärkte nicht leisten. Wenn dort ein Lkw aus ihren eigenen Distributionsketten ausfiel, war das ein Problem. Deshalb haben plötzlich viele aus dem Supermarkt-Bereich bei uns zugekauft. Wir vereinen rund 350 Händler unter einem Dach, die ihre Waren aus ganz unterschiedlichen Quellen beziehen. Durch diese Struktur sind wir in der Lage, schnell zu reagieren und Warenströme umzulenken. Als die Gastronomie aufgrund des Lockdowns schließen musste und keine Produkte mehr abgenommen hat, stieg dafür – aufgrund des veränderten Verbraucherverhaltens – die Nachfrage der Wochenmarkthändler immens. Diese konnten wir von jetzt auf gleich bedienen.

Was ziehen Sie im Nachgang daraus?

Die Krisen – erst Corona, jetzt der Krieg in der Ukraine – haben deutlich gemacht, dass wir die Grundbedürfnisse stillen: Essen und Trinken. In der Bedürfnispyramide des US-Psychologen Abraham Maslow ist Nahrung die erste Stufe, eines der dringendsten Bedürfnisse der Menschen. Und wir als Großmarkt bedienen das Fundament unserer aller Existenz. Das sicherzustellen, ist unsere Aufgabe. Dass wir das können, haben wir in den letzten Jahren bewiesen. Und wie wichtig dies ist, ist hoffentlich deutlich geworden. Gesellschaftlich haben wir in der Vergangenheit bestimmte Grundlagen, die immer vorhanden waren, als selbstverständlich hingenommen. Wie schnell sich Selbstverständlichkeiten in Luft auflösen können, haben wir jetzt lernen müssen. Einen Krieg mitten in Europa haben die meisten von uns nicht als realistisches Szenario erwartet. Innerhalb weniger Wochen ist Trinkwasser und Nahrung für Millionen Ukrainer zu einem raren Gut geworden. In anderen Teilen der Welt ist das schon lange trauriger Standard. Aber hier leben wir weitestgehend mit einer völligen Sorglosigkeit gegenüber unseren Grundbedürfnissen. Das ist ein absoluter Luxus, den wir haben. Und das muss man sich immer mal wieder vor Augen führen. So ein Großmarkt ist kein lästiges Übel, wie er manchmal dargestellt wird. Wofür brauchen wir den eigentlich noch? Die nehmen so viel Platz weg und machen dann auch noch nachts mal ein bisschen Lärm. Aber wir reden hier über die Grundlage unserer aller Existenz.

Sozusagen „Das grüne Herz der Stadt“ …

Es geht um Versorgungssicherheit. Der Großmarkt selbst ist zunächst formal betrachtet eine Vermarktungseinrichtung für Erzeuger und Händler. Aber: Wir sind die Bezugsquelle für Wochenmärkte, Restaurants, Kantinen, Hotels, Schulen, Kitas, Krankenhäuser, Caterer, Lieferdienste. Nicht zu vergessen, dass wir auch Supermärkte beliefern. Wir stellen sicher, dass immer alles erhältlich ist.

Wir stellen sicher, dass immer alles erhältlich ist.

Eliane Steinmeyer

Die Infrastruktur ist das eine, was zeichnet den Großmarkt noch aus?

Wir haben eine sehr lange Tradition. Der Großmarkt ist über Jahrhunderte entstanden. Wir haben uns über die Zeit immer wieder Veränderungen angepasst, auch in den letzten 60 Jahren. „Handel ist Wandel“ und das trifft hier wirklich zu. Früher gab es auf dem Großmarkt viele kleine Unternehmen. Heute sind es deutlich weniger, dafür sind sie sehr viel größer und haben sich teilweise spezialisiert. Es wurden Lieferdienste aufgebaut und die Beratung und der Service haben zugenommen. Was den Hamburger Großmarkt zudem ausmacht, ist die Qualität, die wir anbieten und die enorme Auswahl. Wir haben viel regionale Ware, dadurch dass wir das Alte Land und die Vier- und Marschlande vor der Tür haben, und ganz Schleswig-Holstein und Niedersachsen mit den riesigen Agrarflächen. Zudem bieten wir viele Importprodukte an. Zum einen, weil sie hier in Deutschland nicht wachsen, Ananas-Anbau ist hier ja nicht so stark ausgeprägt (lacht). Aber auch, weil in Norddeutschland in bestimmten Zeiten nicht viel wächst. Die Mischung macht es und die ist immer in Bewegung. Wenn die Nachfrage hoch ist, kann man eine breitere Auswahl anbieten, was wiederum die Nachfrage anzieht. Das hat sich durch die Vielzahl der Unternehmen auf dem Großmarkt über die Jahrzehnte entwickelt. Außerdem sind wir eine sehr zuverlässige Einkaufsquelle. Wir haben während der letzten 60 Jahre in Hammerbrook keinen einzigen Markttag ausfallen lassen, auch nicht in der zuletzt schwierigen Zeit. Wir sind die zentrale Bezugsquelle für Norddeutschland bis nach Skandinavien und Westpolen.

Zum angesprochenen Wandel gehört auch das Konsumverhalten. Die Nachfrage und das Angebot von regionaler und Bio-Ware steigt. Wie geht der Handel auf dem Großmarkt damit um?

Wir sehen diesen Trend natürlich und die Händler reagieren darauf. Wir sind ein Markt und wenn sich die Nachfrage ändert, ändert sich das Angebot. Das reguliert sich weitgehend von allein, da müssen wir nicht viel machen. Wir informieren aber zum Beispiel regelmäßig auf unserer Internetseite über saisonale Produkte und darüber, was gerade an regionaler Ware verfügbar ist. Auch sitzt auf dem Gelände des Großmarkts seit Jahren das Zusatzstoffmuseum, das sich damit beschäftigt, was in Nahrungsmitteln enthalten ist. Zudem veranstalten wir den Food Market Hamburg.

Was passiert auf dem Food Market Hamburg?

Auf dem jährlichen Food Market Hamburg, der für alle geöffnet ist, präsentieren Produzenten ihre regionalen Produkte. Wobei man kleine Abstriche machen muss. Die Kaffeerösterei röstet zwar hier in Norddeutschland, aber der Kaffee wächst natürlich nicht hier. Man kann von Stand zu Stand schlendern, kann da etwas trinken oder dort etwas probieren, an Gewürzen schnuppern oder Süßes naschen. Und viele Produkte kann man auch mit nach Hause nehmen. Es ist alles vertreten, was lecker ist – von Fleisch und Fisch bis Bier und Wein, Schokolade, Gewürze, Käse und natürlich Obst, Gemüse und Blumen. Wir möchten die Leute an Neues heranführen, an Dinge, die sie vorher noch nicht kannten. Und der Food Market Hamburg ist ein echtes Genuss-Erlebnis.

Sehen Sie das auch als eine Aufgabe, die Menschen an gesunde Ernährung heranzuführen?

Das machen wir schon seit Jahren mit diversen Aktionen. Wir sind mit Promo-Ständen unter anderem auf Messen und Wochenmärkten präsent und informieren, teilweise mit Unterstützung von Ernährungsberatern. Wir waren in Hamburg an den Einschulungstagen vor Ort und haben Brotdosen, Gemüse und Fruchtspieße an die Kinder und die wartenden Eltern verteilt. Und dann haben wir ja noch das schon erwähnte Zusatzstoffmuseum, das auf jeden Fall einen Besuch wert ist!

Seit 2015 führen Sie die Geschäfte des Großmarkts. Was waren die Meilensteine während dieser vergangenen Zeit? 

Das Einschneidenste war die Corona-Krise mit all ihren Herausforderungen. Aber wir haben natürlich auch einen normalen Arbeitsalltag. Was uns schon lange beschäftigt und weiterhin beschäftigen wird, ist die Sanierung der denkmalgeschützten Großmarkthalle. Das ist ein langwieriger Prozess, da wir diese natürlich nicht für sechs Monate schließen können. Es passiert alles während des laufenden Betriebs und ein zertifizierter Lebensmittelbetrieb wie wir, muss dafür besondere Vorkehrungen treffen, das geht von speziellen Einhausungen bis zu den erlaubten Arbeitszeiten für die ausführenden Firmen. Wir finanzieren das übrigens selbst, ohne finanzielle Unterstützung von der Stadt. Wir haben viel in die Modernisierung und die Digitalisierung gesteckt, das ERP-System erneuert, das Zugangssystem digitalisiert und erweitern gerade unsere Ladeinfrastruktur für E-Fahrzeuge. Das Thema E-Mobilität ist für uns ja quasi ein alter Hut. Seit mehr als 20 Jahren dürfen bei uns nur elektrisch betriebene Stapler und Karren fahren. Im Zwischengeschoss der Großmarkthalle haben wir riesige Bereiche für die Ladestationen. Die Modernisierung geht teilweise auch Hand in Hand mit der Sanierung, da Dinge kombiniert werden können. Und ein Thema, das uns umgetrieben hat, war die Standort-Garantie, die der Senat letztes Jahr bis 2044 verlängert hat.

Seit mehr als 20 Jahren dürfen bei uns nur elektrisch betriebene Stapler und Karren fahren.

Eliane Steinmeyer

Mussten Sie um den Standort bangen?

Die Befürchtung, dass wir hier abgeräumt werden, hatten wir nicht. Der Standort war vorher bis 2034 gesichert. Aber die Verlängerung ist eine offizielle Positionierung des Senats, die wichtig war. Auch für die Händler war das ein positives Signal. Sie brauchen Vertrauen in den Standort, um zu investieren. Die Bereitschaft dafür ist seitdem deutlich gestiegen. Für die klein- und mittelständischen Unternehmen, die hier tätig sind, sind Investitionen in Millionenhöhe nicht gerade wenig.

Auch in der internationalen Zusammenarbeit sind Sie aktiv.

Ja, das ist bei uns ein großes Thema. Wir sind sehr aktiv in der Weltunion der Großmärkte (WUWM) und in dem deutschen Verband der Frischemärkte (GFI). In der WUWM sind über 200 Großmärkte von allen Kontinenten vertreten. Wir sprechen über Food-Waste, also die Reduzierung von Lebensmittelverschwendung, Hygienestandards und andere Standards, die von Kontinent zu Kontinent unterschiedlich sind. Wir arbeiten eng zusammen mit der FAO, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UN, mit der EU und sitzen in verschiedenen Gremien. In der Summe drehen sich die Themen um eine wachsende Weltbevölkerung, die ernährt werden muss, vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeit und des Klimawandels.

Welche Pläne haben Sie, um den Großmarkt gut in die Zukunft zu führen?

Mit der Standort-Garantie haben wir eine Basis geschaffen. Das heißt, unsere Händler investieren und modernisieren, insbesondere in umweltfreundliche Techniken, beispielsweise Kühlanlagen und Fahrzeugflotten. Wir bauen die Ladeinfrastruktur weiter aus und unsere Händler sind dabei, ihre Flotten auf E-Mobilität umzustellen. Wir haben eine Fotovoltaikanlage auf dem Gelände, und zukünftig wird es weitere geben. Die Digitalisierung ist ein Thema, das wir vorantreiben. Auch Fair Trade und nachhaltige Produkte beschäftigen uns. Wir haben Händler, die Bananen importieren, die bereits jetzt komplett CO2-neutral sind. Und wir gehen davon aus, dass pflanzenbasierte Ernährung zunehmen wird und wir aufgrund unserer Produkte noch mehr an Bedeutung gewinnen werden. Der Markt wird 60 Jahre alt. Das heißt nicht, dass das, was wir machen, altmodisch ist. Ganz im Gegenteil!

Portrait von Hedda Bültmann

Hedda Bültmann ist auch nach über 20 Jahren noch schwer verliebt in Hamburg. Wenn sie sich nicht gerade durch die Restaurants der Stadt schlemmt, ist sie im Theater oder auf einem Konzert zu finden.

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