9 Minuten Lesedauer / Stories

Podcast-Interview

„Es gibt ein einziges Kochbuch, das jeder haben sollte“

Tim Mälzer gehört zu den bekanntesten Köchen Deutschlands. Er ist im Fernsehen zu sehen, in Podcasts zu hören, schreibt Kochbücher und führt mit der Bullerei ein Restaurant im Hamburger Schanzenviertel. Im Podcast-Interview spricht Mälzer über seine Anfänge, die Bullerei und sein neues Kochbuch

5. März 2024

Führt die Bullerei in der Schanze: Tim Mälzer / ©Johanna Zobel
Führt die Bullerei in der Schanze: Tim Mälzer / ©Johanna Zobel

Tim, du hast den Spitznamen Küchenbulle. Wie hast du dir diesen Namen verdient?

Tim Mälzer: Damals, als ich mit der TV-Sendung „Schmeckt nicht, gibt’s nicht“ angefangen habe, gab es diverse Presseberichte, die sich sehr stark mit meinem Äußerlichen und meiner Art und Weise zu sprechen beschäftigt haben. Darin wurde mir jegliche Kompetenz des Kochens abgesprochen. Daraufhin habe ich T-Shirts gedruckt: Da stand „Schaumschläger“, „Hochstapler“, „Aufschneider“ und auch „Küchenbulle“ drauf. Das hat irgendjemand aufgeschnappt und seitdem bin ich es nicht mehr losgeworden.

Dein Restaurant in der Sternschanze heißt Bullerei. Hängt das mit dem Namen Küchenbulle zusammen?

Das hat überhaupt keinen Kontext. Mein damaliger Gastro-Partner Patrick Rüther und ich waren damals auf Namenssuche. Da sich das Restaurant in der ehemaligen „Halle für Kälber und Versandschweine“ befindet, wollte ich das Restaurant auch so nennen. Aber mein weiblicher Bekanntenkreis fand das Wort „Versandschwein“ nicht so schön. Eine Bekannte rief uns an und fragte: „Wie wäre es mit ‚Bullerei‘?“. Erst dachte ich: „Das ist jetzt echt ein bisschen zu viel Küchenbulle.“ Aber der Name traf auf Gegenliebe, also haben wir uns dafür entschieden.

Ihr feiert mit der Bullerei in diesem Jahr 15-jähriges Jubiläum. Zur Eröffnung hast du den Küchenstil als „Lust-und-Laune-Hausfrauenstyle“ beschrieben. Was meintest du damit und ist das heute immer noch so?

Ich glaube, die „FAZ“ hat mal geschrieben, ich würde die Küche proletarisieren. Das war als Beleidigung gedacht. Ich habe es allerdings als Kompliment aufgefasst. Ich möchte die Küche für jedermann zugänglich machen. Da arbeite ich hin und wieder auch mit Attributen, die das Ganze ein bisschen runterbrechen und die Hemmschwelle abschaffen. Wenn man von Hausfrauenküche spricht, ist das erst mal etwas Vertrautes. Wir sind ein modernes Wirtshaus, ein Treffpunkt, ein Kommunikationsort. Man geht natürlich wegen des Essens hin. Aber mir ist wichtiger, dass man bei uns eben Zeit mit den Menschen am Tisch verbringt. Ich will Emotionen wecken und Geschichten erzählen.

Wie sehr bist du noch in der Bullerei involviert?

Momentan viel zu viel. Ich glaube, meine Mitarbeiter wünschten sich, dass ich bald endlich wieder mit „Kitchen Impossible“ anfange. Dann bin ich viel auf Reisen und manchmal drei, vier Tage am Stück nicht in der Bullerei. Ich will nicht sagen, dass sie das dann genießen, aber ich bin der Unruheherd. Wenn wir Routinen entwickeln, die funktionieren, werde ich unruhig. Denn Routine kann auch Bequemlichkeit erzeugen. Und Bequemlichkeit ist für mich einer der negativsten Aspekte in der Gastronomie. Ich verändere gerne. Wir bewegen und entwickeln uns konstant.

Braucht es diese stetige Entwicklung, um in der Branche zu bestehen und sich einen Namen zu machen?

Es braucht diese Zeit, um sich keinen Namen mehr machen zu müssen. Nach 15 Jahren ist man eine sichere Bank und hat keine Auffälligkeiten mehr. Ich habe damals, als wir öffneten, gesagt: „Ich möchte mich gerne zwischen dem Eisenstein und dem Fischereihafen Restaurant ansiedeln.“ Die sind seit vielen Jahren mit einer so guten Qualität präsent und entwickeln sich behutsam immer weiter. Ich glaube, das haben wir auch geschafft. Wir sind inzwischen etabliert in Hamburg.

Stand für dich eigentlich immer fest, dass du mal Koch werden möchtest?

Nein … nein, nein. Ich wollte eigentlich Hoteldirektor werden. Ich dachte: „Ist doch super, da wohnst du im Hotel, dir macht jemand die Wäsche und du kannst den Room-Service bestellen.“ Als ich 18/19 Jahre alt war, hat mich meine Mutter des Hauses verwiesen – sie war wohl müde von meiner Klugscheißerei. (lacht) In meiner eigenen Bude kochte ich die ersten drei Monate Aurum-Spaghetti (frühere Fertignudeln von Aldi, Anm. d. Red). Irgendwann war ich müde von dem Geruch des Aufstoßens – dieser Trockenkräuter-Knoblauch-Rülps. Also habe ich Nudeln mit Bolognese in zigtausend Varianten gemacht. Dann arbeitete ich im Hotel Cap Polonio, im Bessere Zeiten und im Billard Café. Also Gastro-affin war ich da bereits. Nur das Kochen war noch nicht das, was die meisten damit verbinden. Die Lust und Freude am Geschmack – die waren mir da noch relativ egal.

Wann hast du dich für eine Ausbildung als Koch entschieden?

Über einen Freund bin ich zum Hotel Interconti gekommen. Ich hatte Gott sei Dank einen Lehrherren, der mit so einem Rüpel wie mir etwas anfangen konnte. Helmut Helwig, der inzwischen leider verstorben ist. Ich glaube, er hat sich ein bisschen in mir gesehen: Ich war vorlaut, hab viel zu viel unaufgefordert kommentiert und war sehr am Leben interessiert. Und ich habe damals schon entschieden, das Modell der Gleitzeit für mich zu entwickeln – was in der Küche nicht gern gesehen wird. Ich war schon ein „Pain in the Ass“ und ’ne Nervensäge. Aber ich war fleißig und habe mich nicht gescheut, auch mal die dreckige Arbeit zu machen. Helmut Helwig hat mir damals auch einen Job in London verschafft. Ich habe dort ein Wochenende verbracht, ein paar Küchen angeschaut – und mich für die größte Adresse entschieden: das Ritz Hotel.

Ich war schon ein ,Pain in the Ass‘ und ’ne Nervensäge

Tim Mälzer

Dort warst du nicht sonderlich zufrieden, oder?

Ich habe nur gute Erinnerungen an das Team und die ganze Energie. Das war schon richtig aufregend und spannend. Nur grundsätzlich fehlte die Wertschätzung für uns und die Arbeit, die wir geleistet haben. Bei einem großen Event wurde jemand verbal so erniedrigt, dass er vor mir einen Nervenzusammenbruch hatte. Am nächsten Tag habe ich gekündigt und wollte mit dem Kochen aufhören.

Was hat dich umgestimmt?

Ich wollte noch in London bleiben. Also habe ich mich im Carluccio’s beworben und bin auf meinen zweiten großen Mentor getroffen: Gennaro Contaldo. Ein Mann mit Emotionen. Ein Mann mit Schwächen und Stärken. Aber vor allem ein Mann mit großen Leidenschaften. Diese Leidenschaft hat er auch in mir geweckt – die Affinität zum lustvollen Kochen, zum reinen geschmacksorientierten Kochen, zum demütigen Kochen – italienisch. Ich bin zwar das Unitalienischste, was man sich vorstellen kann: Ich komme aus Schleswig-Holstein, meine Urgroßeltern hatten eine Baumschule, mein Lieblingsgericht ist Steckrübeneintopf. Aber die Kombination aus diesem drögen schleswig-holsteinischen Kartoffelkopp gepaart mit dieser italienischen Leidenschaft und Einfachheit in der Herangehensweise ist das, was mich bis heute ausmacht.

Wie unterscheidet sich die damalige Kochlehre zu der heutigen?

Die Kochlehre ist anspruchsvoller geworden. Ich habe eine Hamburger Kochausbildung gemacht. Das Niveau war damals nicht so hoch – gerade auf theoretischer Ebene. Ich glaube, das kommt daher, dass wir viel mehr Wissen haben. Damals hatten wir eine Art zu kochen. Ob im Atlantic, im Hotel Vier Jahreszeiten, im Interconti, im Madison: Wir kochten alle gleich – und zwar französisch. Wenn du das gut hinbekommen hast, bekamst du Aufmerksamkeit. Damit kriegst du heute nicht mehr so viel Anerkennung. Heute müssen wir divers aufbauen: neue Produkte, neue Kreationen. Auch der Druck ist in der Ausbildung heute ein anderer. Während meiner Ausbildung waren wir 35 Köche im Interconti. Als ich ging, waren es nur noch 17, zum Schluss sieben. Und das in derselben Küche, mit denselben Dingen. Auch die Ansprüche der Gäste wachsen: Früher hat es gereicht, Kartoffelpüree zu machen. Das reicht heute nicht mehr.

Wie würdest du deine Küche heute beschreiben?

Ich koche Tradition. Ich möchte Tradition aufrechterhalten. Der Gault&Millau hat mir mal mangelnde Kreativität vorgeworfen, wo ich sag’: „Shut up, please!“. Was ist los mit euch? Wie soll ich denn ständig die Tradition kreativ beladen? Es geht mir um bestimmte Zuverlässigkeiten, aber auf hohem Niveau. Es gibt noch ein paar tolle Läden mit klassischer Küche, wie den Fischereihafen oder Heinz Wehmanns Landhaus Scherrer. Wehmann ist ein Dinosaurier hier in Hamburg. Wenn Wehmann anfangen würde, Sojasoße und Tataki vom Thunfisch zu machen, dann würde ich sagen: „Jetzt haben wir ein Stück Tradition verloren.“

Wie soll ich denn ständig die Tradition kreativ beladen?

Tim Mälzer

Tradition ist auch in vielen deiner Kochbücher enthalten. Welches sollte man zu Hause haben?

Ich glaube, es gibt ein einziges Kochbuch, das jeder haben sollte: das „Dr. Oetker Schulkochbuch“. Da sind alle Grundrezepturen drin. Das, was wir heute alles als Kochbuch verkaufen, sind Lifestyle-Kochbücher, temporäre Zeitaufnahmen. Am Ende des Tages ist es kochen, easy und entspannt.

Wie gehst du vor, wenn du ein Buch schreibst?

Ich schaue mir die Produkte im Supermarkt an. Es bringt ja nichts, wenn ich ein Pseudo-Klischee vom Isemarkt Hamburg spiele, auf dem es sich nur eine Elite leisten kann einzukaufen. Ich will nicht mich darstellen, sondern zeigen, dass im Grunde alle besser kochen können als die meisten denken. Wenn ich also so elitär anfange, verliere ich schon 80 Prozent aller Deutschen. Also arbeite ich auch mit Grundprodukten.

Ich will nicht mich darstellen, sondern zeigen, dass im Grunde alle besser kochen können als die meisten denken

Tim Mälzer

Was für Rezepte sind das dann zum Beispiel?

Ich habe in meinem Kochbuch ein Rezept für einen Tomatensalat – das ist super einfach: Tomate klein schneiden, Essig, Öl, Zwiebeln. Mit dem Rezept will ich zeigen, wo kochen bereits anfängt. Oder ein Sandwich mit Nürnberger Würstchen: fertige Nürnberger Bratwürstchen, bisschen Sauerkraut dazu. Ich liefere dir eine Idee, aus drei fertigen Produkten: Du hast das Brot nicht selber gemacht, das Sauerkraut und die Würstchen nicht selber gemacht. Jetzt kommt das Feuilleton und sagt: „Das ist aber kein Kochen.“

Ist es das denn?

Das muss man differenziert sehen. Auch Oma hat früher mit Fondor, Maggi oder Knorr gekocht. Oma hat Maggi auch nicht selber gemacht. Es gab schon immer die Möglichkeit, sich in bestimmten Bereichen helfen zu lassen. Wir müssen uns den neuen Begebenheiten anpassen, deshalb heißt mein neues Buch „Vierundzwanzigsieben kochen“. Bedeutet für mich: Es gibt kein Gerüst mehr, sondern jeder entscheidet selbst, wann er oder sie etwas kochen möchte. Ich esse zum Beispiel gerne nachts. Vielleicht frühstücke ich sogar mal nachts. Ich könnte Bolognese zum Frühstück essen. Das einzige Problem ist: Kaffee und Bolo schmecken nicht zusammen.

Kochbücher, TV-Sendungen, Restaurantleiter: Woher kommt eigentlich dein Drang, so viel zu machen?

Das wirkt immer so, dass ich so viel mache, aber ich bin ein Großmeister im Loslassen. Alles, was ich mache, mache ich mit gemeinsam anderen Menschen, sodass ich mir immer wieder Freiräume zur Entspannung verschaffe. Da ich ein sehr begeisterungsfähiges Spielkind bin, lasse ich mich aber immer wieder auf neue Abenteuer ein. Ich liebe es, meine Komfortzone zu verlassen – zumindest da, wo man nichts zu riskieren oder verlieren hat. So lange es keine Risiken für Leib und Gesundheit gibt, gilt für mich: I’m in!

Was steht als Nächstes an?

Rente.

Davor kommen aber noch ein paar Jahre …

Ich bin jetzt gerade in der Urlaubsphase, da kommt Langeweile auf. Und Langeweile ist bei mir perfekt für Kreativität. Ich habe jetzt gerade ungefähr 40 Konzepte und Ideen im Kopf. Die bewegen sich zwischen einer Eisdiele im KaDeWe bis hin zur Reaktivierung des Off-Clubs, den ich mal in Bahrenfeld hatte. Dann habe ich neulich eine Gastro-Location gesehen, zu der ich sofort eine Idee hatte. Außerdem möchte ich eine Ramen-Bar, ein Fischrestaurant und ein komplett deutsches Restaurant machen. Es gibt so viele Sachen, die ich machen möchte, aber eigentlich will ich nur Rente. Ich beschäftige mich gerade viel mit dem Thema „Aufhören“. Ich komme jetzt langsam in ein Alter, wo man sich dem auch mal stellen muss. Ich möchte nicht zu den Leuten gehören, die das Ende nicht wahrnehmen.

Portrait von Johanna Zobel

Johanna Zobel ist immer für ein ausgiebiges Abendessen mit Freunden in gemütlichen Restaurants zu haben. Ein perfekter Abend endet für sie mit einem Absacker in einer typischen Hamburger Eckkneipe.

DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner