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Vincenzo Andronaco

„Ich habe einen guten Gaumen“

Bei Vincenzo Andronaco gibt es ein (großes) Stück italienische Lebensfreude. Der Großhändler hat sich längst über die Grenzen Hamburgs hinaus einen Namen gemacht und feiert in diesem Jahr sein 40-jähriges Bestehen. Im Interview spricht er über seine Anfänge in Hamburg, den Weg in den Einzelhandel und seinen Jubiläums-Wein

17. Februar 2023

Mit geschultem Auge: Vincenzo Andronaco schaut sich die Produkte vor Ort an / ©Kennedy Production
Mit geschultem Auge: Vincenzo Andronaco schaut sich die Produkte vor Ort an / ©Kennedy Production

Herr Andronaco, Sie sind 1970 nach Hamburg gekommen. Wie war es für Sie als junger Italiener im kühlen Norden anzukommen?

Ich kam am 18. Januar 1970 um 7.10 Uhr am Hamburger Hauptbahnhof an. Es herrschten minus 20 Grad und es fiel Schnee. Ich hatte nur ein paar Mokassins, ein Poloshirt und ein leichtes Sakko an, da es in meinem Heimatdorf, in der Nähe von Messina, bei meinem Aufbruch noch 20 Grad warm waren. Das war ein ziemlicher Temperatur-Schock. Ich habe zwar immer gehört, dass es in Hamburg kalt sei, aber ich hatte mit meinen 18 Jahren noch keine Vorstellung, was kalt bedeutet.

40 Grad Temperaturunterschied und der Wechsel vom Dorf zur Großstadt. Das war sicher nicht einfach …

Anfangs konnte ich bei einem Freund in Pinneberg wohnen. In eine große Stadt zu kommen – ohne Geld – war für mich eine sehr große Herausforderung. In meinem Dorf lebten damals rund 1400 Menschen. Aber, Gott sei Dank, ich habe es überlebt. Ich bin noch hier (lacht).

Sie sind im jungen Alter ohne Ihre Familie nach Hamburg gekommen. War das ein schwerer Schritt?

Als ich meinen Eltern sagte, dass ich nach Deutschland will, fragte mein Vater, was ich im Winter in Deutschland überhaupt möchte. Es wäre so kalt. „Wir reden im Frühjahr weiter“, sagte er. Aber ich war stur – und bin einfach los. Es war traurig, was ich meinen Eltern angetan habe – immerhin bin ich von zu Hause weggelaufen. Das war traurig, traurig, traurig. Aber ich hatte mir fest vorgenommen, es in den folgenden Jahren wieder gut zu machen.

Zwischen Ihrer Ankunft in Hamburg und der Eröffnung Ihres ersten Standes in Barmbek liegen 13 Jahre. Was haben Sie in der Zwischenzeit gemacht?

Die ersten eineinhalb Jahre habe ich in einer Aluminium-Fabrik gearbeitet. Das war nichts für mich, das war wie ein Knast. Dann bin ich auf die Baustelle. Doch für mich war immer klar, dass ich nicht nach Deutschland komme, um auf der Baustelle zu arbeiten. Ich wollte meine Eltern stolz machen. Meine Vision war immer groß.

Wann genau kam Ihnen die Idee, einen Obst- und Gemüsestand zu eröffnen?

Das begann 1983 in Barmbek. Ich hatte eine Fläche von etwa vier Quadratmetern. Mein Sortiment bestand aus saisonalem Obst – ein paar Äpfeln, Erdbeeren, Himbeeren, Blaubeeren. Ich hatte aber auch exotische Obst- und Gemüsesorten im Angebot, etwa Mangold, Auberginen und grünen Spargel – den kannte damals niemand und den gab es nirgends. Die Welt hat sich verändert. Heute bekommt man alles.

Die Anfänge: Der erste Stand am Barmbeker Bahnhof / ©Andronaco
Die Anfänge: Der erste Stand am Barmbeker Bahnhof / ©Andronaco

Wie spüren Sie diese Veränderung im Geschäft?

Heute ist vieles selbstverständlich geworden. Ich arbeite etwa mit einem Mailänder Großhändler zusammen. Wenn ich dort am Montag Kirschen bestelle, sind die Donnerstag bereits hier. Das war damals undenkbar. Früher, auf dem Großmarkt, kamen die Bestellungen noch über den Telegrafen rein. Bis man da die Bestellung bekommen hat, war fast schon Feierabend (lacht).

Über den Hamburger Großmarkt sagt man, er sei eine eigene Stadt. Wie haben Sie die Zeit dort empfunden?

Es ist wirklich eine Stadt für sich. Nach viereinhalb Jahren in Barmbek war das schon etwas anderes. Ich bin immer um 1 Uhr nachts aufgestanden und zum Großmarkt. Das hat mir gut gefallen. Damals wurde Fleiß gewürdigt. Wer faul war, genoss kein Ansehen. Wenn ein Familienmitglied etwa arbeitslos oder krank war, war das der Familie peinlich. Ich war der einzige Italiener auf dem Großmarkt – sonst gab es nur Deutsche und Türken. Ich habe viele Komplimente bekommen. Anfangs hatte ich eine Fläche von 25 Quadratmetern. Nach und nach hat sich mein Geschäft vergrößert. Der Gang C war später der „Gang Andronaco“. Doch ich war nicht zufrieden, ich wollte mehr.

Wie ging es dann weiter?

Ich habe überlegt, ob ich aus dem Großmarkt aussteige und mich mehr auf den Einzelhandel und die italienische Kultur konzentriere. So bin ich auf die Idee gekommen, nach Billbrook zu gehen, um dort einen Großhandel aufzuziehen. Ich habe mir damals dieses Gebäude angeschaut und fünfmal geschluckt. Vor 23 Jahren war das ein echter Koloss hier. Heute sehe ich es mit anderen Augen und finde es zu klein.

Heute sind Sie erfolgreich im Geschäft und besitzen deutschlandweit elf Standorte, drei davon in Hamburg. Lief es immer so rund?

Es war erst mal eine Riesenkatastrophe. Ein Jahr nach dem Start in Billbrook war ich schon fast pleite. Die Kosten waren zu hoch. Es kam einfach zu wenig Laufkundschaft. Wir befinden uns hier mitten in einem Industriegebiet – es gab lange Zeit nicht mal eine Bushaltestelle. Deshalb mussten wir viel Ware verschenken.

Aber Sie haben es trotzdem geschafft. Was ist Ihr Geheimnis?

Unsere Stärke ist, dass wir Qualität verkaufen – zu einem fairen Preis. Im Frühjahr 2002 haben wir es geschafft, wieder nach vorne zu kommen. Unsere Kunden haben uns viel weiterempfohlen. Das hat uns gerettet und wir konnten uns sehr schnell erholen. Mein großes Glück war, dass die Lieferanten an mich geglaubt und immer weiter beliefert haben. Außerdem war meine große Motivation der Parkplatz. Wir sind alle bequeme Leute (lacht). Die Kunden kommen und machen den Kofferraum voll.

Sie begannen früh damit, die Gastronomie zu beliefern. Hat sich seither viel verändert?

Es hat sich sogar stark verändert. Früher gab es an jeder Ecke einen Italiener. Heute ist das vorbei. Entweder macht man heute eine gute Gastronomie oder man ist weg vom Fenster. Pizzerien gibt es heute viele – aber man weiß nie, ob dahinter Italiener, Pakistaner oder Inder stecken. Früher ist man als Familie alle 14 Tage Pizza essen gegangen, das konnte sich jeder leisten. Das Restaurant wurde als Freund betrachtet. Ich finde es schade, dass es heute nicht mehr so ist.

Woran könnte das liegen?

Es gibt viele Vorgaben. Man muss alles dokumentieren. Das frisst die kleinen Betriebe auf. Es ist außerdem schwieriger, weil alles sehr schnelllebig ist.

Sind Ihre Läden ein Stück Heimat für Sie?

Hebt seine Arme, legt sie auf den Bauch und grinst: Das sieht man doch, oder? Ich habe die italienische Küche zu Beginn sehr vermisst. Damals gab es zum Beispiel nur Schwarzbrot, kein Weißbrot. Und kaum Pasta! Heute biete ich etwa 700 Pasta-Sorten an: Pasta al Bronzo, Spaghetti quadrati, frische oder gefüllte Pasta.

Apropos Pasta: Welche mögen Sie am liebsten?

Natürlich unsere eigene – wo all unser Wissen der letzten Jahre drin steckt. Etwa La Molisana oder Rustichella d’Abruzzo. Heute sind aber alle ziemlich gut. Es ist schwer, sich festzulegen.

Sie besitzen viel Expertise. Fahren Sie häufig nach Italien?

Etwa alle sechs Wochen. Dann besuche ich meine Mutter, sie ist 95 Jahre alt. Gemeinsam mit einigen Mitarbeitern besuche ich außerdem oft die Lieferanten. Ich schaue mir Schinken, Parmesan, Olivenöl an. Kürzlich waren wir in Apulien und haben uns Wein angeschaut. Es ist sehr wichtig zu wissen, wo die Produkte herkommen und wie sie hergestellt werden. Da sieht man auch sofort, ob die Leute sauber arbeiten. Unsere Lieferanten sind besser als jede Apotheke, so sauber wie es dort ist.

Woran erkennen Sie gute Produkte?

Ich habe einen guten Gaumen (lacht), wofür ich meiner Familie sehr dankbar bin. Mir wird immer wieder gesagt, dass Produkte, die mir schmecken, auch gut laufen. Und das stimmt: Es hat viel mit dem Geschmack zu tun. Natürlich sammelt man nach und nach auch Wissen. Wo kommt welches Salz her? Welche Bodenqualität braucht es, für bestimmte Produkte? Wir arbeiten viel mit kleinen Familienbetrieben zusammen, die uns Einblicke gewähren.

Vincenzo Andronaco mit seinem Jubiläumswein „1-983“ / ©Kennedy Production
Vincenzo Andronaco mit seinem Jubiläumswein „1-983“ / ©Kennedy Production

Sie feiern in diesem Jahr Ihr 40-jähriges Jubiläum. Dafür haben Sie einen eigenen Wein auf den Markt gebracht. Sind Sie da besonders aufmerksam bei der Herstellung?

Auf dem Produkt ist mein Name drauf, da passe ich besonders auf, dass die Qualität gut bleibt. Das Problem ist, dass kleine Anbieter nicht so große Mengen herstellen können. Aber wir haben gute Winzer gefunden, mit denen wir zusammenarbeiten. Denn unser ganzes Wissen steckt dort drin. Wir haben uns dort die Ernte angeschaut und wissen, wie dort gearbeitet wird.

Haben Sie noch weitere Ideen in der Schublade?

Ich habe immer große Pläne. Im Moment ist es aber besser abzuwarten, welche Auswirkungen der Krieg hat. Die Kosten sind unberechenbar und ändern sich nahezu täglich. Wir sind immer in Bewegung.

Ihr Sohn Florian ist bereits im Unternehmen aktiv. Soll er irgendwann das Geschäft übernehmen?

Ja, ich hoffe, dass er sich schnell entscheidet (lacht). Mein Sohn ist 41 Jahre alt und schon 20 Jahre im Unternehmen. Wir stehen alle dahinter. Mir macht es noch Spaß, aber irgendwann muss man auch Pause machen.

Portrait von Johanna Zobel

Johanna Zobel ist immer für ein ausgiebiges Abendessen mit Freunden in gemütlichen Restaurants zu haben. Ein perfekter Abend endet für sie mit einem Absacker in einer typischen Hamburger Eckkneipe.

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